Wie können Unternehmen die digitale Transformation meistern?
Digitale Transformation. Ein großer Begriff, der zu einem Buzzword in der Unternehmenswelt geworden ist. Doch die Transformation funktioniert nicht von heute auf morgen und braucht vor allem gewisse Voraussetzungen, damit Unternehmen den Wandel erfolgreich vollziehen können. Wir haben uns über das Thema mit Sabine Kluge unterhalten. Sie hat ihre fachlichen Wurzeln in der Unternehmensstrategie für Technologiethemen und begleitet Unternehmen in der digitalen Transformation bei Fragestellungen von Strategie-, Personal- und Organisationsentwicklung. Ihr Motto - Veränderung kommt vom Tun - entspricht ihren persönlichen Stärken: Kreativität, Handlungsorientierung, Umsetzungskompetenz. Eines Ihrer Assets: Menschen begeistern und bewegen. Nach einem Vierteljahrhundert in einem großen DAX-Konzern gehört sie heute laut Personalmagazin zu den 25 wichtigsten HR Influencern. Für ihre Arbeit als Business Coach wurde Sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Xing New Work Award 2018 und dem HR Excellence Award.
Frau Kluge, vielen Dank für Ihre Zeit. Sie verstehen sich als Reisebegleiterin für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der digitalen Transformation. Wie sieht diese Begleitung aus?
Sabine Kluge: Ich stifte zu neuen Ideen und Experimenten in Organisationen an und begleite die jeweiligen Menschen im Unternehmen damit in Richtung neuer und anderer Formen von Führen, Entscheiden und Zusammenarbeiten, weil das aus meiner Sicht und Erfahrung die Grundlagen für das Überleben in einer komplexen Arbeitswelt sind.
Digitalisierung und Transformation. Sind diese Begriffe zu trennen oder nur in einer Kollaboration zu nennen?
Kluge: Untrennbar miteinander verbunden. Zunehmende Geschwindigkeit und zunehmende Informationsdichte als die sichtbaren Veränderungen der Digitalisierung bieten für Unternehmen große Chancen Richtung ihrer Märkte (frontstage) – jedoch nur, wenn sie ihre bisherigen Arbeitsweisen (backstage) diesen Erfordernissen anzupassen verstehen. Und ja, das bedeutet Transformation, die Fähigkeit, sich kontinuierlich an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen, die Geschwindigkeit und Datenvolumen mit sich bringen. Das bindet alle Ebenen ein – Toolset, Skillset und Mindset – und so werden aus Digitalisierung und Transformation tatsächlich kollaborative Zwillinge oder zwei Seiten derselben Medaille.
Es reicht nicht aus mit Agilitätsfloskeln und Softwarelösungen für Scheinagilität zu sorgen.
Das eine geht auf Sicht nur erfolgreich mit dem anderen. Dabei hat sich das Verständnis, frontstage aktiv zu werden – mit neuen digitalen Produkten und Lösungen – kontinuierlich weiterentwickelt, weswegen Unternehmen gerne sagen: Wieso, wir sind doch digital? Doch in vielen Unternehmen wächst jetzt erst das tiefe Verständnis, dass die wahren Schätze backstage liegen, aber auch die großen Herausforderungen. Da reicht es nicht mit Agilitätsfloskeln und Softwarelösungen für Scheinagilität zu sorgen, sondern es müssen die traditionellen Wurzeln von Führung, Entscheidung und Zusammenarbeit neu gedacht werden: Das ist Transformation, und das ist gleichzeitig der größte Wachstumsschmerz von traditionellen Organisationen in unserer Zeit.
Worauf müssen Unternehmen achten, um diesen Mega-Trend nicht zu verschlafen?
Kluge: Diese Frage ist ganz kurz, einfach und logisch zu beantworten: Sie müssen JETZT anfangen, althergebrachte Dogmen und Muster auf den Prüfstand zu stellen mit zwei Fragen:
- Hilft uns dieses Verhalten, der Prozess, die Struktur, das Muster, in einer komplexen Umwelt gute unternehmerische Entscheidungen zu treffen?
- Hilft uns dieses Verhalten, der Prozess, die Struktur, das Muster, in einer komplexen Umwelt die besten Talente zu gewinnen und zu halten?
Ein zweimaliges „nein“ verändert Organisationen auf dem Bauplan der Transformation vermutlich ganz grundlegend – dann braucht es Mut, den Weg zu gehen, auch wenn das für viele Akteure persönlich manch schmerzhaften Abschied bedeutet.
Transformation geht mit Veränderung einher. Oftmals haben Unternehmen und auch Mitarbeiter aber Angst davor. Wie kann das vermieden werden?
Kluge: Überhaupt nicht. Veränderung ist Schmerz. Einschnitt. Trauer. Abschied. Punkt. Kritisch ist, dass wir in der traditionellen Organisation die Zeremonie des würdigen Abschiedes – von alten, geliebten Praktiken – nie gelernt haben. Es hilft nicht, wir können den Schmerz nicht vermeiden und ihn nicht ersparen. Aber wir haben es im Unternehmen stets und in allen Funktionen mit menschlichen Seelen zu tun. Diesen haben wir auch in den letzten Jahrzehnten viel abverlangt und zugemutet, ohne diese eine wichtige Frage zu stellen: Wie erhalten wir die Würde, wie sorgen wir dafür, dass Menschen ihr Gesicht wahren auch beim Abschied von Rollen, vielleicht auch von Insignien, die bisher Halt und Sicherheit gegeben haben?
So trivial es klingt: Wenn wir nicht ein Heer seelenkranker Menschen zurücklassen wollen, müssen wir gemeinsam mit den Menschen den Weg beschreiben – also ein gemeinsames Verständnis für die Herausforderungen der Transformation schaffen und beschreiten. Das bedeutet auch, sichtbar zu machen, dass es nicht per se Gewinner und Verlierer der Veränderung gibt.
Es muss also auch in die Menschen hinter der Transformation investiert werden?
Kluge: Transformation bedeutet Investition: In Zeit, in Klarheit und Fokus, und sicher auch in menschliche Unterstützung von innen und von außen. Und ja, das kostet auch Geld, welches nicht unmittelbar und kurzfristig messbar in Produktivitätszuwachs mündet: Das ist für viele Entscheidungsträger eine ganz neue Perspektive auch mit einer gesellschaftlichen Relevanz – denn leichter als Menschen zu transformieren ist immer, sie „freizusetzen“ und sich dann wieder die passenden am Arbeitsmarkt zu holen. Wenn da nur das kleine Problem mit der derzeitigen Vollbeschäftigung und dem Fachkräftemangel nicht wäre. Die lernende Organisation ist hierauf die einzige Antwort, denn die Menschen, die Unternehmen heute haben, sind im Wesentlichen die Menschen, die für den morgigen Erfolg zur Verfügung stehen. Das haben noch nicht alle Entscheidungsträger verstanden.
Sie sind Vorreiterin für Working Out Loud im deutschsprachigen Raum und Europas erster lizensierter WOL-Coach. Was verstehen Sie darunter und wie kann WOL die Organisationskultur von Unternehmen verändern?
Kluge: Working Out Loud ist eine Arbeitshaltung, nämlich die, vernetzt zu arbeiten, Wissen zu teilen und Fragestellungen ungeachtet gängiger Organisationsstrukturen oder Entscheidungswege gemeinsam im (virtuellen) Netzwerk zu lösen. Da in der traditionellen Unternehmenskultur viele Mitarbeiter anders sozialisiert sind, hilft ihnen das dazugehörige, selbst organisierte Lernprogramm Working Out Loud, diese Arbeitshaltung wieder zu entdecken. Dabei arbeiten drei bis fünf Teilnehmer an einem jeweils persönlichen Ziel.
Es verbindet sie, dass sie ihr individuelles Ziel alle mit Vernetzung erreichen, also indem sie sich hilfreiche Kontakte im Netzwerk suchen, die sie unterstützen. Auf dieser Reise passiert viel Selbstreflexion, viel Selbstorganisation und es entwickelt sich Selbstbewusstsein sowie der Mut, im Netzwerk die eigenen Erfahrungen zu teilen. Erst damit nehmen unternehmensinterne Netzwerke (Enterprise Social Networks) so richtig Fahrt auf, es entstehen sogenannte Wissenszufälle, Mitarbeiter arbeiten funktionsübergreifend gemeinsam an Herausforderungen des Unternehmens; das fördert Kreativität, Innovation, Verbundenheit und Spaß.
Kommunikation ist in der Folge weniger durch meist pyramidale Strukturen geprägt, sondern von der sachlichen Notwendigkeit – die absolute Grundlage für echte Kollaboration jenseits von Funktions- und Silogrenzen: Eine echte, vom Unternehmenssinn und -zweck her gedachte Vernetzungskultur entsteht, in der Menschen kontinuierlich voneinander und miteinander lernen aufatmen, ihre Talente und ihr Wissen einbringen, und das Unternehmen ganz nebenbei durch zahlreiche Wissenszufälle kreativer, innovativer, schneller und damit auch wettbewerbsfähiger wird. Ein Win-Win für beide Seiten, Unternehmen und Mitarbeiter.
Frau Kluge, vielen Dank für das Gespräch.